Was macht eine Mallorca-Reisende, wenn sie um halb neun abends am Flughafen der Insel landet? Sie nimmt einen Wagen, zum Beispiel einen Fiat 500 in Knallrot, steigt ein und richtet ihr Navi-Gerät ein. Ach nein! Es geht ja nicht! Im Auto ist eine andere Steckdose für das Navi. Nicht kompatibel also. Na gut, dann eben das Smartphon. Ach nein! Auch das geht nicht. Das ja so selten benutzte Smartphone zeigt immer noch meine Stadt in Deutschland an. Und ist nicht imstande in Mallorca den Start anzupeilen, geschweige denn das Ziel. Aber, aber! Wir sind ja alt genug, um noch Karten lesen zu können (Hallo! Nicht was ihr denkt?), diese haben wir uns schon zu Hause bis zum Erblinden angeschaut, und zwar eingehend. Mehr noch, wir haben auch einen Ausdruck der Route dabei. Also eine Lesenbrille auf die Nase und auf geht’s. Mallorca, ich komme!
Uh, der Test im Kartenlesen wäre ja so zu einfach. Nur dunkel?! Es fängt an zu regnen, damit ich noch weniger sehen kann als nur in der Dunkelheit. Egal, die Autobahn wird schon nicht anders sein und ich werde einfach mal schleichen. Am Tage hätten mich bestimmt sämtliche Esel überholt, aber nachts und dazu auf einer Autobahn? Es sind nur etwa 40 Kilometer bis zu meiner Finca. Meiner Finca mitten im Nichts. Ich bin sehr gespannt, ob ich sie finde. Das Schild habe ich schon auf Google Earth gesehen: es ist gelb und es ist rechts am Straßenrand: „Finca Agroturismo Es Palmer“. Immerhin.
Unglaublich, nach vorgegebenen 40 Minuten erreiche ich tatsächlich mein Ziel. Ich kann es nicht glauben. Ich freue mich wahnsinnig. Der Señor, der auf mich so lange gewartet hat, kann meine Euphorie nicht verstehen und fragt unsicher: „Renata?“ – „Ja, die bin ich!“ Und ich will hüpfen vor Freude – beherrsche mich aber, denn jetzt muss ich etwas in Spanisch sagen. Und zwar etwas, was über „Hola que tal“ hinausgeht.
„Buenas tardes“, fange ich an, um mich warm zu reden.
Der Mann lächelt. Okay, dann weiter:
„Mi coche …“
„Si, wo ist Ihr Auto?“ fragt er. „Wir bringen jetzt Ihre Koffer auf Ihr Zimmer.“
Welche Koffer? Dieses kleine Köfferchen da?
Der Mann greift nach meinem Koffer und wundert sich sicher insgeheim, warum ich mit einem so kleinen Teil nach Mallorca gereist bin, lässt sich aber nichts anmerken.

„Sie wohnen in dem Häuschen dahinten“, klärt er mich auf.
Oje, so weit weg vom Hauptgebäude? Das gefällt mir gar nicht.
„No me gusta.“
Aber das Zimmer me gusta, denn es ist schön eingerichtet, wie auf dem Foto im Internet. Ein altes Bett mit gedrechselten Säulen am Fußende, flankiert von uralten und behutsam erneuerten Bettschränkchen. Die Bettdecke und Vorhänge sind aus grobem Stoff mit altmodischen Mustern, alles passt. Gut, ich bleibe hier.
Der Mann denkt, wir hätten alles geklärt, und will ins Hauptgebäude zurück. Soll er gehen, ich folge ihm unauffällig. Ich muss jetzt etwas trinken, irgendetwas. Die ganze Aufregung hat meine Kehle ausgetrocknet.
„Agua?“
Agua ist auch gut. Ich trinke gierig und schaue mich um. Der Speiseraum ist hübsch. Alles auf altmallorquinisch eingerichtet. Ich stelle Fragen, jetzt schon etwas mutiger: Internet, vielleicht eine serveza?
Si, serveza haben sie auch.
„Muchas gracias“, schnappe ich mir eine Dose und setze mich an mein Netbook, um direkt zu prüfen, ob sein WLAN funktioniert. Ich bin zwar im Urlaub mitten in diesem Nichts, aber ich bin immer noch mitteilungsfreudig.
Dann quatschen wir noch eine Runde über die Weltwirtschaftskrise und mallorquinischen Wein und dann gehe ich in mein Zimmer, welches sich – wie ich bei der Gelegenheit ebenso erfahre – in der ehemaligen Mühle befindet. Das Windrad ist immer noch da, allerdings nur der eiserne Ring. Die Holzplatten sind weg. Ziemlich ungünstig für die Effizienz einer Windmühle. Ich bin jetzt also eine Müllerin, una Molinera. Schön.

Ich lege mich in mein breites Bett und bin gespannt auf meine Träume in der ersten Nacht. Sie sollen angeblich in Erfüllung gehen. Und sie werden es.
Ich träume die ganze Nacht davon, dass ich Spanisch spreche und mich sehr anstrengen muss, um verstanden zu werden. Warum wundert mich das nicht?
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