Die Hängepartie


Der Tag, an dem ich die Hängematte zu meinem Reich erklären wollte, ist gekommen. Nach zwei kurzen Probeliegen der letzten Tage habe ich nun beschlossen, die Hängematte länger zu beanspruchen. Alle anderen Gäste sind weg. Wunderbar!

renaac: Jetzt nur noch schaukeln
renaac: Jetzt nur noch schaukeln

Ich lege mich vorsichtig hin, balanciere eine bequeme Position aus und schließe die Augen. Ich spüre, dass sich die Hängematte noch etwas bewegt, bevor sie zum Stillstand kommt. Dann stoße ich mich leicht ab und das Schaukeln geht wieder los. Dieses Schaukeln ist überhaupt das Größte. Ich denke, es kommt daher, weil diese Bewegung uns irgendwie an die Hüftenbewegung unserer Mütter erinnert, als wir uns noch in ihren Bäuchen bequem und gemütlich tragen ließen. Diese Zeit ist zwar längst vorbei und irgendwie vergessen, aber wir sehnen uns unbewusst danach. Die Hängematte ist also der Ersatz, den ich glucksend vor Freude annehme.
Meine Augen sind geschlossen, meine Ohren nicht. Durch sie dringen in mein Gehirn Laute und Geräusche, die ich im Alltag nicht oder nur selten wahrnehme: Gezwitscher von all den Vögeln, die unseren Palmenhain bevölkern und deren Namen ich nicht kenne. Vielleicht bis auf die Tauben und Amseln. Ich halte es nicht länger aus und mache die Augen wieder auf. Zum richtigen Zeitpunkt, denn auf einem Zweig setzt sich gerade ein Specht nieder. Der Zweig schaukelt unter dem plötzlichen Gewichtswechsel, der Specht bleibt aber sitzen, festgekrallt. Ich weiß nicht, welche Töne ein mallorquinischer Specht von sich gibt und, wie er aussieht, werde es wohl nicht erfahren. Herr Specht schweigt. Nicht einmal klopft er Löcher in den Baum. Muss wohl schon gegessen haben.
Die Welt steht still, eine absolute Ruhe stellt sich ein. Und plötzlich dringt ein neues Geräusch in diese Stille ein. Ich sehe mich um: ein vergilbtes Blatt prallt mit einem lauten Knall auf einen der vielen schönen Steinquadern herunter, mit welchen der schmale Weg verlegt ist. Die Steinquadern wurden aus Kalkstein gehauen, einem Sedimentgestein, in dem seit Millionen von Jahren Muscheln eingefangen sind. Man kann sie genau sehen, die großen und kleinen schmücken Inkrustationen, leuchtend weiß. Langsam fangen sie an, sich zu befreien – der Stein bröckelt unter den Füßen. Manchmal aber hört man ein Knacken. Dann ist es entweder eine alte Muschel oder eine junge Schnecke, die es nicht rechtzeitig geschafft hat, einem aus dem Weg zu gehen. Auch das höre ich jetzt von meinem Posten auf der Hängematte aus.

renaac: Gefangene Muscheln
renaac: Gefangene Muscheln

Am blauen Himmel ziehen Wölkchen über mich hinweg: zerrissene Zirruswolken und kleine Wattebäuschchen, die Cumuluswölkchen, die ihre Fransen noch mit aller Kraft beisamen halten. Wie auf einem Aquarellbild eines mallorcareisenden Amateurmalers. So kann auch der Himmel über Deutschland aussehen, aber … es ist der Rahmen dieses Bildes, der es anders macht. Der Ausschnitt des Himmels ist hier mit Palmwedeln umrahmt. Manche sind schon graugelb und alt und knarren in der Brise wie Zweige alter Kiefer an der Ostsee, da wo sie noch wachsen dürfen. Ich denke an die Ostseestrände, an die mit harten wie eine Messerklinge Gräsern bewachsenen, wilden Dünen und die niedrigen Kieferhaine. Hohe Kiefer haben sich dort nicht durchgesetzt. Natürliche Auslese. Wenn ich mal wieder an der Ostsee bin, denke ich an Mallorcas Palmen.

Die Palmen hier scheinen aber selbst nicht sehr alt zu sein. Sie wachsen so dicht beieinander, dass die Erde unter ihnen noch am frühen Nachmittag kühl und feucht bleibt. Manche blühen männlich, manche weiblich – wie menschlich!

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