Goiosa Marea: Freudige Flut


Nach dem abenteuerschweren ersten Urlaubstag war nun eine ruhigere Abwechslung fällig. Diese suchten wir selbstverständlich am Strand – letztendlich kamen wir ja aus dem tiefsten Norden! Sizilien hat viele Strände, gar keine Frage. Nur wenn man einen sucht, gerät man in eine typische urlaubsstressige Situation: Ist der hier ausreichend gut, oder sollte man doch noch ein Stück weiterfahren? Wie weit ist weit genug und nicht zu weit? – Komm, lass uns doch noch ein Stückchen weiterfahren. – Nein? – Ich will nicht mehr! – Ich will baden! – Sind wir schon da? – Ich … Kennen Sie das? Ja, es war wahrlich nicht leicht. Es lohnte aber tatsächlich, noch ein paar Kilometer mehr zurückzulegen.

renaac: Gut fürs Auge - Blau und Grün
renaac: Gut fürs Auge – Blau und Grün

Die Serpentinen, die sich entlang dem Ufer, jedoch auf einer gewissen Höhe schlängelten und einen Blick aufs Meer an der einen Seite und auf die steilen Felsen an der anderen Seite boten, ließen nicht nur das Gefühl aufkommen, dass ich im Urlaub in Italien war. Nein. Ich fühlte mich direkt in die 60er Jahre versetzt. So wie man das aus den alten Wir-machen-Urlaub-in-Italien-Filmen kennt. Das mochte sicherlich auch an dem kleinen Peugeot liegen, mit welchem wir gerade unterwegs waren – einen Kàrman Ghia, Spider oder Aston Martin konnte ich mir bei dieser Größe leicht herbeidenken. Doch war auch die Atmosphäre der Straße wie in Filmen aus dieser Zeit. Was mir da allerdings zur Vollendung fehlte, war tatsächlich ein echtes Cabrio – und ein passender Seidenschal. Na, vielleicht auch etwas Musik. Der Stern des Lucio Dalla, dessen CD ich dabei hatte, war in der Zeit vielleicht gerade dabei aufzugehen, aber sang er damals schon so schöne Lieder, wie Lucio dové vai? Fred murmelte etwas in sich hinein und ich wollte es nicht wissen. Ich vermutete nur, dass dieses Lied zum siebzehnten Mal zu hören, eine wahre Herausforderung für ihn war, was er charmanterweise nicht einmal erwähnenswert fand… Danke, Fred! Aber es musste einfach sein.

Nicht nur Lucio Dalla, Al Bano und Romina Power, sondern auch Domenico Modugno, Vico Torriani, Gianni Morandi, Rita Pavone und wie sie alle hießen, gehören in diese Welt, und zwar immer noch. Ihre Lieder kann man noch immer in Italien hören, in jeder Bar an jeder Ecke und auf jedem Radiosender. Und vor allem im Sommer. Dabei muss man sich nicht einmal schämen, dass man so etwas gerne hört. Vor allem, wenn einem dabei ein paar Zeilen ausrutschen, die man mit Freude mitsingt. Keiner kennt mich ja hier – ich bin ja im Urlaub …

Noch am nächsten Tag tat mir der Hals weh – vom Kopf ganz zu schweigen – von dem ausgelassenen Singen auf der Uferpromenade. Nur Fred schwieg vor sich hin, kommentierte meinen Auftritt kein bisschen und ein Lächeln, das über sein Gesicht hin und wieder huschte, wurde schon im Anflug energisch unterdrückt, sobald ich ihn anschaute. Ist schon gut. Ich werde nicht mehr singen. Versprochen.

renaac: Das da habe ich aber nicht gegessen
renaac: Das da habe ich aber nicht gegessen

Auch wenn der Weg sich etwas kurvenreich gestaltete, so war der richtige Strand doch schnell gefunden: eine kleine Sonnenschirmkolonie, wie eine falsch gefärbte Blumenwiese, in Gioiosa Marea, zum größten Teil von Deutschen belagert, und ein nettes kleines Strandrestaurant mit Bedienung, wie sie sein sollte: italienisch freundlich.

Goiosa Marea. Das braucht man ja gar nicht zu übersetzen. Ist auch besser so: Goiosa Marea – Freudige Flut?! Was ist das denn für ein Name und dazu noch von einem Urlaubsort? Und wo ist seine italienische Romantik? Diese gibt es nur im Klang des italienischen Namens. Man darf den geheimnisvollen Schleier des Unbekannten nicht ungestraft herunterreißen. Also noch einmal: Wir bleiben bei und in Goiosa Marea.

Sobald wir am Strand angekommen waren, lief uns ein gut aussehender italienischer Ragazzo lächelnd entgegen, der uns zwei Liegestühle zuwies. Zum wiederholten Mal fragte ich mich, ob es vernünftig war, Fred nach Sizilien mitzunehmen. Eulen nach Athen tragen? Also ich weiß nicht recht.

Ein paar gelangweite Urlauber planschten im Wasser, einige lasen Bücher. Die einen schienen schon etwas länger hier zu sein. Die strahlend weiße Haut der anderen ließ vermuten, dass sie gerade im Begriff waren, sich mit der sizilianischen Sonne ganz vorsichtig anzufreunden. Die einen beobachteten schweigend das Meer, die anderen lästerten über alles. Sicherlich auch über das Wetter und über die Politik. Überall dasselbe. Laut oder leise, das Stimmengewirr vermischte sich mit dem Rauschen der Wellen und wirkte wie das beste Schlafmittel. Ohne Nebenwirkungen. Träge wurden meine Lider, mein Geist entschwebte schon zum Himmel hinauf – stopp! Nichts da. Nicht jetzt. Jetzt wird noch erzählt. Fred las gerade wieder mal einen spannenden Artikel in meinem Spiegel-Magazin und musste mir sofort darüber berichten. Sofort! Seine ruhige geradezu monotone Erzählweise war wie eine lange Schnur, in die sich mein Geist verfing und nicht entfliehen konnte. Vielleicht ein anderes Mal.

„Ja, mhm, mhm“, murmelte ich und drehte mich auf den Bauch.

Fred, leicht lebewurstbeleidigt stand auf und ging ins Wasser. Na also, es geht doch! Wir sind am Meer, da muss man mal auch ins Meer pin… eine Runde schwimmen, oder auch mal über die Wellen hüpfen. Das macht Spaß!

renaac: Mare e terra auf dem Teller
renaac: Mare e Terra auf dem Teller

Das Strandrestaurant bot frischen Fisch an – mit Sicherheit. Bei all diesen Fischerbooten, die am Strand ihrem Feierabend entgegen dösten. Absolut richtig. Unsere Pasta mit frisch gefangenem Fisch war vorzüglich. Doch nach einer üppigen Mahlzeit verlangt der Magen im Normalfall nach einem Digestivo. Das war auf jeden Fall ein Normalfall! Auch hier ließen sich die Strandrestauratoren nicht lumpen. Sie boten ihre eigene Produktion: mit Ginebro und Zenzaro – das sollte ihnen einer nachmachen! Aus hiesigem Wein destillierter Schnaps mit Ginster und anderen Kräutern veredelt, drei Monate lang alle zehn Tage geschwenkt und gefiltert. Und dabei erfuhr ich mit Sicherheit noch nicht alles darüber, was diese besonderen Getränke ausmachte. Letztendlich sind solche Dinge immer ein gut gehütetes Geheimnis eines jeden Meisters. Daher lächelte ich freundlich dem netten Thekenmann zu und schlürfte an meinem Digestivo. Nur Fred versuchte noch zu verhandeln, ob man nicht direkt eine Flasche bei ihnen kaufen könnte, und warum sie so teuer sei? „Calma, Fred, tutto con calma!“ Morgen ist auch ein Tag.

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