Aachen liegt im Herzen Europas – von dem Herzen aus ist vieles nicht weit. So auch die Stadt an der Amstel, das niederländische Venedig des Nordens. Es gibt zwar viele Städte, die einen Anspruch auf diesen Titel erheben, für mich ist es aber und bleibt Amsterdam.

Man kann dorthin mit dem eigenen Auto fahren. So läuft man am sichersten Gefahr, erstens unbarmherzig hohe Knöllchen zu kassieren, zweites das Auto an einem Ort abgestellt zu haben, den man nachher auch mit dem GPS nicht so schnell wieder findet, drittens – falls man die Bremse nicht richtig gezogen hat –, findet man das Auto nur mit Hilfe von Tauchern, denn die Grachten in Amsterdam sind stolze 3 m tief. Weiteres will ich nicht einmal kurz aufführen.

Entspannter geht es eindeutig mit einem Bus, egal welcher Gesellschaft. Der Treffpunkt ist klar – meistens „Centraal Station“, die findet man immer – ist auch unweit von dem berühmten Rotlicht-Viertel. Dieses ist zwar auf keinem Stadtplan eindeutig markiert, aber spätestens am Publikum erkennt man es sofort: nicht ausschließlich, aber in der Überzahl sind es Männer, die unterschiedlichen Alters in Rudeln die Straßen abgehen und sich unentwegt gegenseitig angrinsen. Gegenseitiges Fotografieren ist nicht sehr beliebt, je nach Alter und Beziehungs- bzw. Familienstand. Die Damen, die ihre üppigen Formen in Schaufenstern anbieten, kann man glatt übersehen, wenn man sich in eine der schmalen Nebengassen verirrt hat. In dem Fall empfehle ich, dem Blick plus Gesichtsausdruck der Männer zu folgen. Nicht dass man mich falsch versteht: Auch Frauen gehören zum Publikum und auch die sind verschiedenaltrig. Gerade ist sogar eine Gruppe laut singender und wild winkender Frauen an meinem Restaurant vorbeigezogen. Der Grund ihres merkwürdigen Verhaltens blieb für mich im Verborgenen. Und der Name des Restaurants? Selbstverständlich „Kamasutra“, eines der besten indonesischen Restaurants in Amsterdam. Scharf wird dort – gegessen.

Wie der Zufall so will, hat sich die Batterie meiner Fotokamera just in dem Moment verabschiedet, als ich im Begriff war, die dortigen Straßenszenen fotografisch festzuhalten. Es war wie eine stumme Einladung, noch einmal nach Amsterdam zu kommen.
Zurück zur Station Centraal. Von hier wandeln wir zum Kai der Gesellschaften, die Ausflüge über Amsterdamer Grachten anbieten. Man steigt in ein langes und schmales Boot, ignoriert die Mitpassagiere und richtet die Kamera auf alles, was an einem vorbeizieht. Denn alles ist hier irgendwie anders. In der Überzahl wohnen wir in Städten, die im Glücksfall nur ein Fluss durchfließt. Hier dagegen gibt es Wasserläufe bis 100 Kilometer Gesamtlänge, passierbar über 1000 Brücke, sagt die nette, junge Herrenstimme aus der Konserve.
Eine Reise durch die Grachten ist für andre …
nein, nicht schick und fein, sondern für alle ein Muss. Der elegant glatzköpfige Boot-Driver ist sehr charmant, spricht Deutsch mit diesem süßen niederländischen Zungenschlag und macht hin und wieder Witze oder zeigt Sehenswürdigkeiten, die noch nicht in die Tourbeschreibung aufgenommen worden sind, wie beispielsweise Sluyswacht, ein schwarz gestrichenes Haus aus dem Jahr 1695 – frühere Schleusenwache –, wo sich heute eine Kneipe befindet und das so windschief steht, das man sich instinktiv fragt, ob man schon zu viel oder noch zu wenig getrunken hat. Man darf sich mit dem netten Bootsmann ablichten lassen, auf Wunsch – oder auch ohne – schneidet er Grimassen und posiert ausgefallen. So gibt immer wieder einen Grund zum Lachen, was für gelungene Fotos nur förderlich ist.

Die Straße, an der die Ausflugsboote die Touristenmassen einsaugen, um sie nach einer Stunde wie Bandwürmer – in einer langen Reihe – wieder auszuspucken, heißt Damrak. Eine wichtige Straße, denn sie führt uns direkt in die Altstadt. Selbstverständlich ist sie von Souvenirläden gesäumt, hier gehen alle vorbei, die mit den Schiffen, Zügen und Bussen nach Amsterdam gereist sind. Wenn man die Läden allerdings auf dem Hinweg ignoriert, mit dem Gedanken, dass man diese Straße sowieso zurückgehen wird, so kann man später gelassen eine Windmühle in Blau-Weiß, Tulpen aus Holz für die Tanten oder Nachbarinnen, bunte oder farbfreie hölzerne Klompen für ein unbeliebtes Familienmitglied und den unverkennbar duftenden Old Amsterdam in unterschiedlich großen Portionen fertig verpackt – für sich selbst – erwerben. Und wenn noch etwas Zeit bleiben sollte, besucht man die Body-Worlds-Ausstellung, um sich der eigenen Sterblichkeit zu vergegenwärtigen.

Direkt davor steht die Beurs van Berlage, eine Backstein-Romantik auf Niederländisch oder Anfang der Amsterdamer Schule in der Architektur genannt. Wenn möglich – reinschauen. Es ist heute ein Kongresszentrum, und die Geschäftleute tragen heute eine andere Kluft, doch strengt euere Einbildungskraft an …
renaac: Die Wolken versprechen nichts Gutes. – Ja, ja, so ist das mit den Versprechen. Gott sei Dank!
Am Dam in Amsterdam
Am Dam-Platz angekommen, werden wir mit der überwältigenden niederländischen Architektur konfrontiert, und das in Großformat. Sie ist eingedenk der Landesgröße sozusagen umgekehrt proportional, bezeugt aber die wirtschaftliche Größe desselben. Der Koningklijk Paleis, auch Paleis op de Dam genannt, zur Rechten ist ein Augenschmaus auch im Inneren. Die 10 Euro Eintritt sind wirklich gut investiert. Nach dem Entrichten der Gebühr steigt man die Treppe hinauf und ahnt schon die monumentale Größe des Bürgersaals, in dessen Fußboden drei Weltkarten in die Marmorplatten eingraviert sind, mit Amsterdam in der Mitte, selbstverständlich.

Der Rundgang wird von einem Audioguide unterstützt und so erfährt man Dinge, die vielleicht zweitrangig erscheinen mögen, für Interessierte jedoch eine gute Informationsquelle über die frühere und heutige Nutzung der zahlreichen Räume, oder besser: Zimmer, die um den zentralen Bürgersaal herum angeordnet sind. Es sind Wohnzimmer für prominente Besucher, und so werden diese auf eine harte Probe gestellt, denn – wer möchte schon in einer Kirche schlafen? Nein, es war und ist keine Kirche. Doch angesichts des alles beherrschenden Marmors und der schon dadurch entstandenen optischen Kälte fröstelte es mich – trotz der warmen Temperaturen da draußen. Da halfen auch die schönen großen Teppiche nicht dagegen. Als Dienst- oder Empfangsräume des früheren Rathauses – denn als ein solches wurde das Gebäude geplant und gebaut – kann ich sie mir schon eher vorstellen.
Nicht weniger interessant ist der kleinere Gerichtssaal, dessen Innenwand eine Reihe Kariatiden aufrecht hält, dazwischen Verurteilungsszenen. Wenn man bedenkt, dass die Verurteilten von dort direkt zum Galgen hinausgeführt wurden, fasst man sich unbewusst an den Hals, als prüfte man, ob sich da nicht schon eine Schlinge darum legt. Keine Farbe belebt den Raum. Wozu auch? Nicht zum Spaß hat man sich dort versammelt, würde ein echter Kalvinist kühl entgegnen.

Wenn man den Palast verlässt, kann man sich in das Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds begeben. Viel Spaß beim Schlangestehen. Aber vielleicht lohnen die 22,50 Euro, wo George Clooney schon vergeben ist …
Oder man geht vielleicht in die Magna Plaza – Svarowski Boutique, ein ausgesprochen schönes Beispiel für eine Kaufhaus-Architektur nicht von der Stange. Die Kleider dort sind es teilweise, aber in diesem Ambiente kommen sie dem Käufer einmalig vor. Unter der Kuppel irgendwo ganz oben sehen wir uns mit einer wirklich gelungenen Mischung von unterschiedlichen Neo-Stilen konfrontiert, die harmonisch ineinander fließen. Die Liebe zum Detail lässt manchen schmunzeln: Wozu das alles? Eben drum, damit es als großes Ganzes eine Atmosphäre schafft, die nicht einschüchtert und trotzdem den Reichtum der Stadt bezeugt. Denn als früheres Hauptpostamt war das Gebäude ihrer Bedeutung verpflichtet.
Fietsen, fietsen overal

Man wundert sich jedesmal, wie man es geschafft hat, trotz Tausender von Fietsen – die ohne Rücksicht auf die Fremden, die im Gegensatz zu ihren Autos keinen Hinweis darauf mit sich herumtragen, dass sie nicht von hier sind – über die Straße zu gehen, ohne angerempelt zu werden, und ohne dass einen die Autos überfahren, denn auch sie müssen sich gegen die Radfahrer im Straßenverkehr behaupten.

Wenn man es also heile über die Warmoesstraat in die Damstraat geschafft hat, folgt man derselben, dann … „über drei Brücken musst du gehen“, bis man Het Huis van Rembrandt mit angeschlossenem Museum het Rembradthuis erreicht hat.

Das Museum muss man betreten, um den Eintritt zu entrichten, dann aber taucht man schnell in die Welt des alten Meisters ein und erfährt sogar, wie man damals Papier bedruckte. Was ihn inspirierte, steht in einer Art Kuriositätenkabinett. Der verdutzte Tourist erfährt auch, wie der Mensch – der sich das leisten konnte – damals in einem Schrank zu schlafen pflegte, und vermeidet über die Knochen nachzudenken, die ihm beim Aufstehen herrlich laut knacken mussten. Wer sich das nicht leisten konnte, fror des Winters oder nutzte zum Aufwärmen einen mit heißer Kohle gefüllten Behälter, den man vorm Schlafengehen unter die Decke schob. Wer sich auch das nicht leisten konnte, war nicht erwähnungswert.


Beeindruckt von Rembrandts Welt müsste man jetzt ins Rijksmuseum, doch es ist ein Ziel für sich, und das hebe man sich besser für einen separaten Besuch. Daher gehe ich zurück in die Grachtenwelt, sehe mir schmale Wege, blumengeschmückte Fassaden der Häuser aus den letzten vier Jahrhunderten. Es ist angenehm an dem lauwarmen Nachmittag. An De Waage vorbeiwandelnd erreiche ich Oude Kerk, die Alte Kirche, aus dem 13. Jahrhundert. Unscheinbar trotz ihrer Größe sitzt sie da breithüftig am Rande des Viertels der nicht verbotenen Liebe, welches durch das flirtende Pärchen markiert wird.

Wer die Kirche betreten möchte, muss seine EC- oder Kreditkarte zücken. Nach dem letzten Überfall wurden die Kassen aufgelöst, und jetzt wird es nur mit Plastik bezahlt. Das Kircheninnere wirkt irritierend unkirchlich. Es gibt da zwar noch hinter dem aufwändig gearbeiteten Lettner den Chorbereich mit einem Chorgestühl, das so manchen belustigt losprusten lässt. Daran sind die Figuren schuld, die sich unter den Sitzen befinden, und da diese hochgeklappt sind, sieht man die Figuren in unflätigen Posen umso deutlicher. Der Hauptaltar und die Nebenaltäre fehlen komplett, dafür gibt es noch eine imposante Orgel und sogar eine kleinere, auf der Halbhöhe an der Zwischenmauer hängend. Verhuurte, also vermietete Bänke stehen zusammengeklappt und -gestellt in der Mitte vor der Hauptorgel. Und nur im Mittelschiff stehen Stühle, als warteten sie auf eine Veranstaltung, und bieten den Besuchern Platz zum Verweilen und Ausruhen an. Der Fußboden ist vollständig mit Grabplatten von vor Jahrhunderten verstorbenen Persönlichkeiten, darunter auch Saskia, Rembrandts geliebter Ehefrau und neben Anna Frank der berühmtesten Tochter der Stadt.

Nichts ist hier so, wie man es sich in einer Kirche vorstellen möchte, und man verlässt sie etwas irritiert. Danach kann man umso mehr erleichtert in das Viertel roter Lichter, roter Fensterläden, leichter Mädchen mit roten Lippen und Koffeeshops ohne Kaffee eintauchen, den Verstand ausschalten – und einfach nur schmunzeln.
Und was ist mit dem Kanabis- und dem Sexmuseum? – Ja, da war doch was …
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