In den ersten Stunden in Reims beschäftige ich mich so sehr mit der Architektur, dass ich nicht einmal bemerke, wie ruhig die Stadt ist. Die Ruhe hört man ja auch nicht. Es gibt Autos in der City und sie fahren auch. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass mit einem unsichtbaren Vorhang von uns getrennt sind. Sie stören nicht. Es ist keine Nachmittagsruhe – um 19.00 Uhr doch nicht! Ich bleibe mitten auf der Fahrbahn stehen, um ein Foto zu machen. Nix! Kein Hupen, keine quietschenden Reifen. Niemand pöbelt mich an. Nur meine Freundin zeigt eine gewisse Unruhe. Sie ist ja anderes gewohnt. Wo sind nun die nervösen, leicht aufbrausenden Franzosen?
Hier sind die verkehrsberuhigten Zonen offensichtlich ruhig. Durch die Straßen ziehen geräuschlos moderne Straßenbahnen, und oft gibt es nicht einmal eine einzige Spur für Autos. Ob Geschäfte um ihre Umsätze fürchten müssen? – Nein. Die Einkaufmeilen sind anderswo.
Dabei ist Reims, was die Bevölkerungszahl angeht, mit Aachen vergleichbar: etwa 190.000 Einwohner. Eine Universität gibt es auch. Kneipen und Restaurants, soweit das Auge reicht. Wir müssen das mit der Ruhe nicht verstehen. Wir schlendern, lassen uns ab und an auf eine Bank nieder, schauen uns an und staunen.
Und immer wieder treffen wir auf kleine versteckte Parks, oder eher Gärten, Gärtchen. Da wollten wir uns mal eben eine Fassade anschauen und stehen plötzlich vor einem schmalen Eingang in ein solches Ruhe-Asyl. Früher eine Jakobinerkirche – heute Ruinen mit Grün. Ach was!
Eine leichte Brise bringt Musik vom Place du Forum. Da scheint was los zu sein. Der Platz ist ein riesiger Bier- bzw. Champagnergarten, Sonnenschirme und kleinwüchsige Bäume spenden Schatten. Und im Norden des Platzes steht eine Bühne, eingelassen in das gallo-römische Forum, welches man besichtigen kann. An einem so heißen Tag ist das sogar eine angenehm kühle Abwechslung.
Unsere Überraschung ist perfekt, als wir vorsichtig die Treppe hinuntergehen, die kühlfeuchte Luft einatmen – und plötzlich eine unterirdische Kunstausstellung entdecken. Großflächige knallgelbe Vorhänge teilen den Raum auf. Die müssten doch längst verschimmelt sein! Sind es aber nicht – sie bestehen aus gelben Säcken, klein geschnipselt und zusammen ge…kehrt – und zum Schluss zu einem unregelmäßigen Netzt zusammengeklebt. Kreative Zwecksentfremdung.
Wir kriechen auf die Erdoberfläche und die Hitze hat uns wieder. Schnell erreichen wir die Schattenseite der Straße und wandeln weiter. Wir lassen uns von der Stille der Nebenstraßen verführen und betrachten Fassaden, der Häuser, die nach dem ersten Weltkrieg gebaut wurden: Art Deco, Jugendstil – und ein bisschen heimischen Fachwerk. Plötzlich landen wir vor dem Rathaus. Auch hier will man schön heiraten: Glitzernder Regen fällt auf das Brautpaar nieder. Bravo! Es wird geklatscht, gelacht, gratuliert. Ich frage mich, wie viele Paare heute in Aachen getraut werden.
Und ein paar Schritte weiter wird es wieder ruhig. Aber nicht weniger interessant.
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