
Ich breche gerne mal wieder die Feder für Eupen, die kleinste Hauptstadt Europas – denn sie ist mit nicht einmal 20 tausend Einwohnern Hauptsitz der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft (Ostbelgien).
In diesem kleinen Ort nahe Aachen gibt es ein kulturelles Leben, das seinesgleichen sucht. Diesmal ist es ein literarisches Event, das diejenigen Lügen straft, die behaupten, der heutige Mensch scheut Kontakte zu Literatur. An einem Samstagabend Mitten in der Vorweihnachtszeit strömten Bewohner der Gegend sowie des benachbarten Auslands (lies: Aachen) nach Eupen, um sich in 140 Lesungen allerlei vorlesen zu lassen. Und alle Lesungen sind so gut besucht, dass sich so mancher Autor wünschen würde, vor diesem Publikum vorlesen zu dürfen.

Hinterm Tresen – viel gewesen
„SEITENstraße – Lesen hinterm Tresen“ gibt es schon seit 10 Jahren. Ich aber habe diese Veranstaltung erst in November 2017 entdeckt. Doch besser später als zu spät, nicht wahr?

Am späten Nachmittag machte ich mich auf den Weg nach Eupen. Weihnachtlich geschmückt und irgendwie zauberhaft warm begrüßte mich die Stadt, obwohl die Temperaturen gerade auf ungemütliche zwei Grad eingebrochen sind. Ich war allerdings vorbereitet – mehrschichtig eingepackt, trotzte ich, zumindest am Anfang, der Kälte. Voll ins Schwitzen geriet ich aus diesem Grund, als ich die erste Location betreten hatte: das Café Fonk’s Backwaren – ich gebe zu, ein komischer Name für ein Café. Aber die Bedienung war sehr nett, und entließ mich erst gar nicht in die Kälte da draußen. Gott sei Dank! Stattdessen bekam ich heiße Schokolade serviert. Sie schmeckte genauso lecker wie die warme Bio-Limonade – eine Kombi aus Ingwer, Zitrone und Minze. Himmel! Nun gut, aber zurück zur geistigen Kost.
Geschäfte, Restaurants und Cafés – insgesamt 30 Lokale öffneten nach Ladenschluss ihre Türen für das literaturfreudige Publikum. Sogar das örtliche Krankenhaus und eine Seniorenresidenz machten mit. Passend zur Location waren auch literarische Themen ausgesucht.
Bald stellte ich fest, dass es unmöglich war, alle Lesungen zu hören, musste also eine Auswahl treffen – ein schmerzvolles Unterfangen. Aber es ging nicht anders. Sorry!
Daher folgt jetzt eine sehr, sehr bescheidene Auswahl an Themen und Orten, die ich an diesem Abend besuchte:

Ostbelgien-Lounge stellte einige Gruppen auf eine literarische Weise vor, die sich für ihre Region engagieren. Eine Wanderinitiative weckte schnell meine Wanderlust. Ich beschoss jedoch, diese Aktivitäten auf wärmere Jahreszeiten zu verlegen. Die Philosophie der Tante-Emma-Läden wurde dichterisch zum Ausdruck gebracht. Die lokalen Spezialitäten, die in dem Gedicht erwähnt wurden, ließen mir Wasser im Mund zusammenlaufen – auch ein deutliches Zeichen der Überzeugungskunst der Menschen, die ja ansonsten „nur“ hinterm Tresen stehen. Ein nächster Knoten an meinem strapazierten Taschentuch wurde nun für ostbelgische Käsesorten gedreht. Ich bleibe allerdings offen für weitere Leckereien.

Den Führer rasieren? – Ne! Oder doch?
Das nächste Thema, welches genauso provokant wie unglaubwürdig klang, lockte mich ins Krankenhaus. Ja, im St.-Nikolaus-Hospital las Petra Weber aus Sven Bramerts Buch. Titel: „Ich habe den Führer rasiert“. Ein paar Augenblicke aus dem Leben im Altenheim kurzweilig vorgetragen, gar keine Frage. Die Einganghalle des Krankenhauses war voller aufmerksamer Zuhörer.
Ich habe auch eine Entdeckung gemacht: Es gibt in Eupen auch Kabarettisten, die als Lehrer Arbeiten. Oder andersherum. Egal.

Im „Le Palais“ hat Rüdiger Heinrich-Krott ein Plädoyer für freiwilliges Ausscheiden der Lehrer gehalten. Nein, nicht aus dem Amt – aus dem Leben. Dabei stellte er viele Vorteile in Aussicht: Bestattung auf Kosten der Stadt, Anerkennung der Schülerschaft und Dankbarkeit des Lehrerkollegiums (oder zumindest des einen oder anderen Kollegen). Man müsste nur Hitze gut vertragen können, da es sich dabei um Selbstverbrennung handelt. Ich gebe zu, dass ich mich für eine solche Lösung nicht erwärmen konnte, allerdings fror ich seitdem an diesem Abend auch nicht mehr. Vielleicht lag es aber an der afrikanischen Trommel, deren Klang durch den Abend führte.
Unverkrampft gemordet
Nicht verkrampft ging es in der Buchhandlung Logos zu. Kein Wunder, wo Ralf Kramp seine bisweilen extrem kurzen, aber auf jeden Fall kurzweiligen und schrägen Krimis zum Besten gab. So mancher im Publikum bekam Lachkrämpfe und anschließend Probleme, sich wieder einzukriegen.
Außerdem weiß ich seit gestern auch, warum Ralf Kramp den Mörder seiner Frau immer noch nicht finden kann.

Im nächsten Jahr werde ich mir andere Orte vorknöpfen und die örtlichen Leckereien schmecken lassen.
Lasst es euch auch nicht entgehen. Ihr wisst Bescheid!

Mit vor Kälte Tränen gefüllten Augen verließ ich das nächtliche, noch lesende Eupen.
Praktische Links für Kulturinteressierte von nah und fern:
http://sunergia.be/veranstaltungen/seitenstrasse-2/
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