
Da alle Fensterläden geschlossen sind, merke ich gar nicht, dass es schon so spät ist, als ich um halb elf aus dem Bett springe. Es ist mir furchtbar peinlich. Das warme Frühstück wird nur bis zehn serviert, später bis elf nur kalt. Und ich bin fürs kalte schon fast zu spät. In Deutschland hätte ich damit strafende Blicke geerntet. Der Mann von gestern blickt mich mitleidsvoll an. Nicht aufregen. Einfach gucken, was noch da ist, und essen.
„Huevos?“
„Mhm? Ach, Eier? Nein danke.“ Ich bin begeistert, dass ich quasi am frühen Morgen etwas in Spanisch verstanden habe, bleibe aber bei Bocadillos und Kaffee, der ziemlich schwach ist. Gut fürs Herz.
Der Mann sieht hin und wieder zu mir rüber, um mir nach einer Weile zu sagen, dass ich mich ruhig etwas erholen kann, wo ich schon mal hier bin – ich wäre ja so richtig aufgescheucht im Speisesaal erschienen. Das ist hier nicht nötig. Am besten die Uhr ablegen und sich an den Swimmingpool legen. Eine glänzende Idee! Das mache ich glatt. Mal sehen wie lange ich dort aushalte, bevor es mich in die Umgebung treibt.

Zuerst aber eine kurze Begehung. Die Finca liegt in einem echten Palmenhain: Palmen, Rhododendren, Bougainvilleas und sonstiges blühendes Gewächs schaffen willkommene Intimität, da man sich fast überall unsichtbar fühlt. Vor jeder Wohneinheit befindet sich eine kleine Terrasse und auch die ist vor den Blicken der Anderen geschützt. Trotzdem gibt es auch genug Platz für Begegnungen. Diese Möglichkeit wird diese Woche – mitten im Oktober – wohl von niemandem wahrgenommen. Jeder hockt für sich alleine oder mit Begleitung in seinem Zimmer. Oder ist unterwegs. Ein paar Autos habe ich ja gestern gesehen. Also laufe ich ungestört über die schmalen Pfade, klettere die Treppe meiner Mühle hinauf, um einen Blick auf die Landschaft zu ergattern. Schließlich gebe ich der Versuchung nach – und lege mich an die Piscina.
Ich habe tatsächlich länger ausgehalten, als ich dachte. Ich bin sogar geschwommen, habe in der Sonne geschwitzt – im vollsten Bewusstsein, dass dies in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Ich gebe zu, ich habe es genossen. Und wie!
In der Hängematte abhängen, in meiner Vorstellung die höchste Form der Glückseligkeit, habe ich mir für später aufgehoben. Man sollte nicht übertreiben.
Colònia de Sant Jordi wurde von vielen Reiseführerautoren ziemlich verrissen. Mag sein, dass der Ort in der Hauptsaison überlaufen ist und seinen speziellen Charme längst verloren hat, als man den Hafen nur als Hafen kannte. Mitte Oktober ist er aber schätzungsweise maximal zu einem Viertel belegt, die Flaniermeile am Ufer dementsprechend ruhig. Auf einem Stuhl im Restaurant „Marisol“ hat es sich sogar eine Katze gemütlich gemacht und war nicht bereit, auch nur ein Auge zu öffnen, um zu schauen, wer sie da streichelt. Nach einer üppigen halben Portion Peperoni nach Art des Hauses und einem Bier habe ich absolut keine Lust aufzustehen. Ich habe die Trägheit der Katze verinnerlicht.
Da ich mich selbst verpflegen darf oder kann, habe ich beschlossen, auf meine altbewährte Lösung zurückzugreifen, bin also in einen Lebensmittelladen gegangen und habe mich mit den lokalen Leckereien in fester und flüssiger Form versorgt. Ich freue mich schon auf das Abendessen.

Die Abenddämmerung dauert hier nicht lange. Die letzten fantastischen Lichtspiele am Westhimmel bewundere ich vom Dach meiner Mühle aus und mache ein paar Fotos. Davon kann man nicht genug bekommen. Sollen sich nachher meine Freunde darüber aufregen, ein Tropfen roten Mallorquiner wird es sicher wiedergutmachen.
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