Ich bin verstimmt. Ich hatte Messina gesehen. Eine Stadt, die man nicht gesehen haben muss. Oder vielleicht doch, um sie nicht wieder sehen zu müssen. Traurig. Das Alte, was sie mal zu bieten hatte, ist durch Erdbeben und Weltkriege zerstört worden, und das Neue ist einfach nur trist. Wer sich hier verlaufen hatte, hatte schon verloren. Ich fragte mich, wer sich hier im Laufe der Geschichte dieser Stadt alles verlaufen haben mochte? Söldner, Nutten, Schmuggler? Messina war anscheinend nur für Transfer gut. Ein hartes Urteil – ich weiß.

Der große und wichtige Hafen ist eine Handelsdrehscheibe, hier setzen die großen und kleinen Transporte auf die Insel über – und damit ist die Stadt auch ein Taumelplatz für allerlei dunkle Geschäfte. Es grenzt beinahe an Wunder, dass sich hier Touristen verlaufen – wie wir. Ansonsten schein der Hafen wirklich nur als das notwendige Übel auf dem Weg auf die Insel oder von der Insel zu gelten.
Und trotzdem – die Meerenge zwischen der Insel und dem Kontinent, die Straße von Messina, ist ein besonderer Ort. Wenn man den Blick über das andere Ufer schweifen lässt und über das grenzenlose Meer an beiden Seiten dieser Wasserstraße, ist das so, als wäre sie der Styx und man müsste nur Ausschau nach Charon halten, dem ewigen Fährmann. Keine Brücke wird den Fährmann je ablösen, so wie die Erde hier bebt und so wie die Gelder dafür nie reichen werden. Also huschen kleine und große Schiffe von einem Ufer zum andern und die ganz großen passieren den 18 Kilometer langen engen Weg nach Süden. Wie all die Wandervögel, die hier noch einen kurzen Halt machen.

Die Kathedrale war für mich eine schöne Überraschung. Sie stand in der Nähe des Hafens. Die Sonnenuhr und der Kalender auf dem Glockenturm und auch die vergoldeten, beweglichen Figuren, die den Turm beleben und an Feiertagen ein wichtiges Ereignis aus der Geschichte der Stadt nachspielen, waren der einzige ästhetische Trost. Also doch noch etwas Altes gefunden! – Nichts dergleichen. Auch sie waren allesamt rekonstruiert worden. Was wollte man da noch sagen angesichts dieser omnipräsenten Tristesse? Nein, so schlimm konnte es nicht sein. War auch nicht – es gab auch in Messina einige wenige Straßen, Zeugen alter, guter und reicher Zeiten. Da war auch was los. Also nicht den Glauben an Trinakria verlieren. Man bekam in einer kleinen Eckbar einen ausgezeichneten Cappuccino, es gab auch eine Shopping-Meile mit Geschäften, die sich zeigen lassen konnte. Und doch wurde ich traurig in Messina. Messina, wo waren deine Bräute? Wo war deine Schönheit geblieben?

Aus Messina ging es wieder Strada Statale 113 lang – nur diesmal gen Westen. Serpentinen, die uns auflauerten, lenkten von dem geradezu pittoresken Elend der Vorstadt erfolgreich ab. Und danach war es nur noch schlimmer – endlose Staus in den Vororten. Die im allgemeinen als ungeduldige Autofahrer stereotypisierten Italiener erwiesen sich hier mitten in der Verkehrsstoßzeit auf einmal als ganz ruhige, gelassene und immer noch als viel telefonierende Fahrgenossen, die gerne hin und wieder Autos aus den Nebenstraßen vorließen und es überhaupt nicht eilig zu haben schienen. In so mancher deutschen Großstadt wäre das ein Wunder!
Irgendwann gab ich auf und lenkte das Auto auf die Autobahn. Der Abendhimmel verdunkelte sich schneller als in Deutschland. Außerdem meldeten unsere Mägen eindringlich Bereitschaft, Nahrung wieder aufzunehmen.
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